Jeder verantwortungsbewusste Unternehmer möchte, dass sich seine Mitarbeiter bei ihm wohl fühlen. Heerscharen von Coaches und Consultants
unterstützen ihn dabei, damit er eine bestmögliche Führungskraft sein kann. Doch einige ihrer Vorstellungen schaden eher, als dass sie nützen, weil sie den gesellschaftlichen Trend zur
Infantilisierung verstärken.
„Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter glücklich und zufrieden sind, und dass sie ihre Arbeit als sinnstiftend empfinden“,
empfehlen Berater häufig ihren Kunden. Deren HR-Verantwortliche pflichtet bei und engagiert gleich eine Feel Good-Managerin mit IHK-Zertifikat. Niemandem scheint dabei aufzufallen, dass wir es
bei Mitarbeitern mit erwachsenen Menschen zu tun haben, die eigentlich dazu fähig sind, ihre Gefühle und Einstellungen eigenverantwortlich zu steuern und zu regulieren. Konkret bedeutet dies: Bei
einem erwachsenen Menschen entscheiden nicht äußere Umstände oder das Gebaren seines Vorgesetzten darüber, wie er sich fühlt, sondern er selbst. Wer seine Tätigkeit als sinnstiftend empfinden
möchte, kann dies erreichen, indem er sie entweder mit besonderer Hingabe und Qualitätsbewusstsein ausführt, oder indem er sich ihre Bedeutung im Kontext des großen Ganzen vor Augen führt. Und um
glücklich und zufrieden zu sein, genügt häufig eine Fokusänderung: Statt sich nur mit dem zu beschäftigen, was am Arbeitsplatz nicht perfekt ist, richte man die Aufmerksamkeit auf alles Gute: den
Umstand, in wirtschaftlich turbulenten Zeiten einen sicheren, vernünftig bezahlten Arbeitsplatz zu haben, nette Kollegen und einen Chef, der sein Bestes gibt. Dafür kann man dankbar sein, wenn
man dies sein möchte – und schon fühlt man sich deutlich besser.
Dies alles liest sich irgendwie selbstverständlich, widerspricht aber völlig dem Zeitgeist: Wir leben in einer infantilisierten Gesellschaft,
in der es Usus geworden ist, die Verantwortung für die eigene Befindlichkeit anderen Menschen zu übertragen: Männer sind dafür verantwortlich, dass sich Frauen nicht diskriminiert fühlen. Bei der
woken Fraktion genügt ein falsches Wort – schon heißt es: „Das darfst du nicht sagen, davon fühle ich mich gekränkt!“. Und alle möglichen Randgruppen erwarten vom Rest der Gesellschaft
sprachliche Berücksichtigung, um sich gut zu fühlen.
Emotionale Selbststeuerung und ein Minimum an Resilienz sind völlig aus der Mode gekommen. Deshalb wird der Chef in die Rolle des Über-Papas
gedrängt, der für die Freude an der Arbeit zuständig ist. Und ihm zur Seite stehen Helfer wie z. B. Feel Good-Manager, die als Betriebskindergärtner für gute Laune bei der Belegschaft sorgen
sollen.
Ich empfehle eine andere Strategie: Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Verantwortung für ihre Gefühle zurück! Aufgabe von Ihnen als Chef ist es
nicht, die Frauen und Männern in Ihrem Unternehmen glücklich zu machen, sondern alles abzustellen oder zu vermeiden, was deren Motivation oder Zufriedenheit mindern könnte. Schaffen Sie
Arbeitsbedingungen und eine Unternehmenskultur, sodass erwachsene Menschen die Chance haben, zufrieden zu sein. Dazu gehört auch, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und sie ernst zu nehmen. Doch in
dem Moment, in dem Sie gestandenen Frauen und Männern nicht mehr zutrauen, ihre Gedanken und Einstellung so zu wählen, dass daraus positive Gefühle resultieren, betrachten Sie sie nicht als
mündige Erwachsene.
Fazit: Erwachsen zu sein, bedeutet, Chef im eigenen Kopf zu sein!