Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft sind in einer Zeit rasanter, radikaler Umbrüche die Kernkompetenzen für beruflichen und privaten Erfolg. Wie Sie Ihr Gehirn fit für steten Wandel machen, erklärt Mentaltrainerin Gabriela Friedrich.
Lange glaubte man, die Gehirnentwicklung verlaufe ähnlich wie Projekte im Unternehmen, sei also irgendwann abgeschlossen. Doch dann kam Dr. Marian Diamond und bewies mit ihren
Forschungsergebnissen: Wir bzw. unser Gehirn sind bis zum Lebensende „Work in Progress“.
Die Neurowissenschaftlerin Diamond entdeckte 1964 in einem Rattenexperiment, dass die Großhirnrinde von jungen Ratten in einem Käfig voller Spielzeug um sechs Prozent dicker war als die von
intellektuell nicht geforderten Ratten. Knapp 20 Jahre später führte sie dieses Experiment mit Ratten durch, die altersmäßig etwa 75-jährigen Menschen entsprachen. Und wieder wuchsen durch die
neuen Erfahrungen die dafür zuständigen Hirnregionen. Dr. Diamond hatte die Neuroplastizität und damit eine der wichtigsten Eigenschaften des Gehirns überhaupt entdeckt: Das Gehirn vermag sich
strukturell bis ins hohe Alter zu verändern. Für unseren Alltag heißt das ganz praktisch:
Wer wir sind und wie wir die Welt sehen, hängt von unserer Hirnnutzung ab.
Sind wir anders, als es uns dient, können wir unser Gehirn gezielt so verändern, dass wir ein Mensch mit mehr Denk- oder Verhaltensoptionen werden. Viele Studien haben dies bewiesen.
Beispielsweise hat man Probanden ein dreitägiges Achtsamkeitstraining absolvierten lassen und sie vorher und nachher untersucht. Nach den drei Tagen war bei allen die Konnektivität zwischen zwei
für die Emotionssteuerung zuständigen Hirnregionen messbar gestiegen und die Fähigkeit zur Selbstregulation nachweislich besser geworden. Mit anderen Worten: Dank dieser im Training ausgebildeten
neuen Hirnvernetzungen waren die Probanden reflektierter und emotional kontrollierter geworden (Dawson Church, Bliss Brain).
Für den Umbau zu einem Gehirn, das auch bei den größten Schwierigkeiten zuversichtlich bleibt und Lösungen entwickelt, braucht es allerdings länger als drei Tage.
Problemlöser-Hirne sind machbar.
In meiner Coaching-Praxis arbeite ich derzeit u. a. mit einem Projektmanager, der – ohne sich dessen bewusst zu sein – sein Gehirn systematisch auf maximale Flexibilität und
Problemlösungskompetenz trainiert und entsprechend „umgebaut“ hat. Seit seiner Jugend bereist er die ganze Welt und bringt sich dabei immer wieder in herausfordernde Situationen. Um Spanisch zu
lernen, hat er sich beispielsweise für drei Monate bei einer Familie in Brasilien eingemietet, die weder Deutsch noch Englisch sprach. Am Ende der Zeit konnte er sich auf Spanisch verständigen.
Niemals entschied er sich für bequeme Club- oder Strandurlaube; in solch faulen Zeiten büßt das Gehirn nachweislich an Leistungsfähigkeit ein. Er erforschte stattdessen immer fremde Länder auf
abenteuerliche Weise, geriet dabei regelmäßig in schwierige Situationen und war dadurch gezwungen, stets neue kreative Problemlösungen zu entwickeln. Hinzu kam noch eine Ausbildung zum
Projektmanager, die in gleicher Weise auf die Hirnentwicklung einzahlte. Jetzt betreut er bei einem Konzern Großprojekte, an denen bis zu 50 Nationen beteiligt sind – eine leichte Aufgabe für
ihn, schließlich hat er dafür das optimale Hirn.
Möglicherweise haben Sie das Phänomen des gut trainierten Problemlöser-Hirns auch schon unter Familienunternehmer beobachtet.
Runter von der neuronalen Autobahn
Nicht nur Urlaube mit zahlreichen Challenges sind ein geeignetes Hirn-Trainings-Camp. Auch der Alltag in einem Unternehmen, das immer wieder von Krisen geschüttelt oder durch seine Kunden zu
permanentem Wandel gezwungen wird, sorgt für ein leistungsfähiges, flexibles Gehirn und das entsprechende Selbstvertrauen seines „Besitzers“. Denn jede Krise und jede neue Kundenanforderung
bricht Routinen auf und sorgt dafür, dass neue Wege beschritten werden müssen.
Was heißt das neurobiologisch? Wir haben ja schon festgestellt, dass sich unsere Handlungen, unsere Gedanken und Gefühle in Form von neuronalen Verbindungen materialisieren. Wenn wir nun etwas häufig wiederholen, werden diese neuronalen Verbindungen immer mehr. Es entsteht sozusagen im Gehirn eine neuronale Datenautobahn der Reizübermittlung, die dann irgendwann automatisch genutzt wird, weil sie so schön komfortabel und energiesparend ist. Und unser Hirn spart gerne Energie; Denken ist schließlich einer der größten Energiefresser. Deshalb mag unser System ressourcenschonende Automatikfunktionen.
Während es praktisch ist, beim Autofahren nicht mehr über das Schalten und Kuppeln nachdenken zu müssen, weil dies dank guter Hirntrainings automatisch passiert, sind Erfolgsroutinen im
Unternehmertum ein Risikofaktor. Läuft es über einen langen Zeitraum ohne Innovationen gut, manifestieren sich die unternehmerischen Routinen auch neuronal, das Gehirn reduziert das bewusste
Nachdenken und schaltet auf Autopilot. Kommt dann jemand und fordert offensiven Wandel, wird das kaum Begeisterung auslösen. In der Regel lautet die Antwort eher: „Das haben wir schon immer so
gemacht, das machen wir auch weiter so.“
Wenn Sie bei sich selbst oder bei Mitarbeitern solch eine ablehnende Haltung zu Wandel feststellen, vergegenwärtigen Sie sich bitte: Dies ist kein böser Wille und auch nicht altersbedingt,
sondern die natürliche Reaktion eines Gehirns, das zu einseitig benutzt und damit ausgebildet wurde. Diesem Hirn nun zu sagen, es solle den komfortablen neuronalen Highway verlassen und einen
neuen Trampelpfad anlegen, wo bis jetzt nur Wildnis war, ist eine komplette Überforderung.
Emotionen als Katalysatoren des Wandels
Glücklicherweise gibt es etwas, das eingefahrene Gehirne schnell bereit für den Wandel macht: intensive Emotionen. Bereits eine einzige kurze Erfahrung vermag das Gehirn nachhaltig zu verändern, wenn sie mit starken Gefühlen verbunden ist. So werden Sie sich vermutlich noch an Ihren ersten Kuss oder an Ihren ersten unternehmerischen Triumpf erinnern können, als sei es gestern gewesen. Die meisten Menschen wissen auch noch ganz genau, was sie getan haben, als sie von 9/11 erfuhren und die Bilder der Flugzeuge sahen. Solche Szenen – so kurz sie waren – sind fest im Gedächtnis verankert, weil sie die Amygdala, einen Teil des limbischen Systems, stark stimuliert haben. Die Amygdala steht in Verbindung mit dem Hippocampus, der die Überführung von Inhalten aus dem Kurz- ins Langzeitgedächtnis steuert. So bewirken starke Emotionen, dass etwas im Gehirn nachhaltig verankert wird.
Dieses Wissen können Sie sich zunutze machen, indem Sie beispielsweise mit positiven Visualisierungen arbeiten. Das Gehirn kann nicht zwischen real Erlebtem und Vorstellungen unterscheiden und
reagiert auf Phantasien genauso wie auf echte Erfahrung. Deshalb mein Tipp: Stellen Sie sich so lebhaft wie möglich vor, wie Sie als Branchen-Innovator gefeiert werden, wie man Sie zu Ihren
bahnbrechenden Neuentwicklungen beglückwünscht und wie die Fachpresse Ihre disruptiven Ideen feiert. Vielleicht reißt es Sie am meisten aus festgefahrenen Bahnen, im Geiste zu erleben, wie Ihre
Kinder Ihnen danken, ihnen eine so innovative, erfolgreiche Firma übergeben zu haben. Wählen Sie, was immer für Ihr Innerstes der stärkste Motivator ist, offensiv neue Wege zu beschreiten.
Wiederholen Sie Ihre Lieblings-Visualisierung täglich und erleben Sie, wie Sie Lust bekommen auf offensiven Wandel.
Viel Erfolg!