Unser Hirn ist ein machtvolles Lernorgan, das sich zeitlebens in einem Transformationsprozess befindet. Seine erstaunlichen Fähigkeiten erklärt Mentalcoach Gabriela Friedrich.
Es ist erst wenige Jahrzehnte her, da glaubte die Wissenschaft, unser Gehirn entwickle sich nur in jungen Jahren und sei im Erwachsenalter quasi fertig. Heute wissen wir: Unser Gehirn verfügt
über die Fähigkeit, sich bis ins hohe Alter zu verändern – glücklicherweise, denn dies bedeutet, dass wir zeitlebens lernfähig sind. Aber was passiert eigentlich im Gehirn, wenn es lernt?
Im Gehirn sind ca. 100 Milliarden Nervenzellen (Neurone) miteinander verknüpft. Neuronen bestehen aus einem Zellkörper (Soma), der den Zellkern umgibt, sowie vielen Fortsätzen zweierlei Art: den
Dendriten und den Axonen. Die Dendriten nehmen elektrische Impulse von anderen Nervenzellen auf und leiten sie zum Zellkörper. Die Axone geben diese Impulse dann an andere Nervenzellen weiter.
Die Übertragung von einer Zelle zur nächsten erfolgt an den Synapsen, wo der elektrische Impuls in einen chemischen übersetzt wird. Wenn wir etwas durch Wiederholung lernen, wird ein und dieselbe
Kontaktstelle (Synapse) wieder und wieder aktiviert, was dazu führt, dass die Impulse immer besser und stärker übertragen werden.
Lernen kann aber auch die Bildung neuer neuronaler Vernetzungen auslösen, indem neue Dendriten und Axone wachsen. So wird das neuronale Netz dichter und größer. Das Gegenteil passiert natürlich
ebenfalls im Hirn: Aus Energiespargründen werden selten genutzte Verbindungen wieder abgebaut.
Unser Gehirn verändert sich also ständig – je nachdem, wie wir es benutzen.
Neugierige Menschen haben übrigens, wie Wissenschaftler der Uni Bonn schon im Jahr 2008 feststellten, ein besonders gut vernetztes Gehirn. Der Grund hierfür ist, dass Neugierde und auch
Begeisterung die Ausschüttung von Botenstoffen wie zum Beispiel Dopamin verursachen, was wie Dünger fürs Gehirn wirkt. Stumpfes Wiederholen wie beim Vokabelpauken oder der widerwillige Versuch,
sich in eine neue Software einzuarbeiten, können also keinen maximalen Lernerfolg erzielen. Viel schneller erlernt sich die neue Sprache mit Lerntools, die wirklich Spaß machen – oder, wenn man
sich darauf freut, die neuen Wörter im Lieblings-Urlaubsland zu verwenden. Und auch die Software erschließt sich besser, wenn das Lernen durch Vorfreude auf die Arbeitserleichterung beim Einsatz
des Programms gepusht wird statt durch einen Chef, der Druck macht.
Wer bereits zwei oder drei Fremdsprachen erlernt hat, wird weitere Sprachen übrigens leichter erlernen, weil die dafür zuständige Hirnregion nun darauf trainiert ist, Sprachen zu lernen. Neugieriges lebenslanges Lernen beschert uns also ein besonders gut vernetztes lernfähiges und -williges Gehirn – ein enormer Vorteil in unserer komplexen sich rasch verändernden Welt.
Emotionen spielen selbst dann eine große Rolle, wenn wir lernen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Eine einzige stark gefühlsbesetzte Erfahrung kann ausreichen, um in uns Glaubenssätze,
Überzeugungen oder Weltbilder entstehen zu lassen, die dann unsere weiteren emotionalen Reaktionen und unser Verhalten heimlich steuern. Dies gilt für negative Erlebnisse, die beispielsweise mit
Angst, Schmerz oder Enttäuschung verbunden sind, genauso wie für positive. In der Kindheit entstehen derartige Konditionierungen besonders häufig, weil sie noch nicht vom Verstand hinterfragt und
verhindert werden können. Da reicht es unter Umständen schon, dass dem kranken Kind von der Mutter die Eiscreme verwehrt wird, während das Geschwisterchen sie bekommt. Und in dem Kind entsteht
die Überzeugung, es werde von der Mutter weniger geliebt als von Bruder oder Schwester. Die neuronalen Vernetzungen mit den entsprechenden Synapsen bilden sich blitzartig und werden automatisch
immer wieder aktiviert, sobald das Kind oder später der Erwachsene den subjektiven Eindruck erhält, andere würden bevorzugt. Und weil es erfahrungsgemäß im Leben niemals gerecht zugeht, wird es
wahrscheinlich eine Menge Situationen geben, die diese entsprechenden Synapsen aktivieren und dadurch immer stärkere Reize übertragen. Auf diese Weise steuern die Verbindung der Nervenzellen das
Selbstbild („Ich bin weniger wert als andere“) und die Vorstellung vom Platz in der Welt („Andere bekommen, was ich mir wünsche“). Dass diese Überzeugungen auf eine Fehlinterpretation in der
frühen Kindheit zurückgehen, erkennt der Betreffende in der Regel erst bei der Analyse mit einem Coach oder Therapeuten. Dann wird ihm endlich klar, dass er damals das begehrte Eis nur deshalb
nicht bekam, weil er krank und die Mutter um sein Wohl besorgt war. Manchmal genügt solch eine Erkenntnis bereits, um den negativen Glaubenssätzen den Garaus zu machen. Oft aber sind die
neuronalen Verbindungen und die Aktivitäten der Synapsen im Laufe der Jahre so machtvoll geworden, dass sie aktiv und gezielt verändert werden müssen.
Seit bald 30 Jahren verwende ich in den Coachings mit meinen Klienten verschiedene hypnoseähnliche Methoden, die keine tiefe Trance erfordern. Dabei werden die neuronalen Verbindungen, die durch das Problem entstanden sind, mittels Sprache und inneren Bildern aktiviert und dann in kleinen Schritten peu à peu gelöst sowie durch Nervenverbindungen für die gewünschten Überzeugungen oder Gefühle ersetzt. In der Regel ist diese neuronale Transformation, die am Telefon stattfindet und oft nur wenige Minuten dauert, nachhaltig.